Blended-Learning-Ansatz für die klinische Epileptologie

Freiwillige vs. verpflichtende Teilnahme

Die hohe Teilnahmerate von 90 %, die durch Befragung der Studierenden ermittelt wurde, konnte anhand der im LMS dokumentierten Zahl der Quizteilnehmenden bestätigt werden. Diese hohe Quote ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass der digitale Kurs nicht verpflichtend war und keine Voraussetzung für die Teilnahme am Neurologiepraktikum darstellte. Allerdings berichteten einige Studierende nachträglich im persönlichen Gespräch, dass sie davon ausgingen, das digitale Lernangebot absolvieren zu müssen. Dies wurde in der Einladungs-E-Mail zwar nicht formuliert, allerdings wurde auch die Freiwilligkeit nicht hervorgehoben. Den Studierenden wurde hingegen die Möglichkeit angeboten, nach Abschluss des digitalen Kurses ein Zertifikat herunterzuladen, was eine gewisse Verpflichtung suggeriert haben könnte.

Zeitlicher Aufwand

Die von den Studierenden für den digitalen Kurs aufgewendete Zeit variierte stark: von weniger als 15 min bis zu über 90 min (Abb. 2). In der Diskussion mit den Studierenden gaben diese durchweg an, das digitale Lernangebot nicht als zu umfangreich empfunden zu haben. Der modulare Aufbau, eine freie Beweglichkeit innerhalb des Lernangebots sowie weiterführende Lernmaterialien für besonders interessierte Studierende ermöglichten individuelle und den studentischen Bedürfnissen angepasste Zeitaufwände. Bei der Konzeption des Lernangebots wurde die Schaffung von Abhängigkeiten oder Einschränkungen, die den Fortschritt durch das Lernmodul künstlich verlangsamen könnten (z. B. indem das Weiterblättern zur nächsten Seite nur möglich ist, wenn zuvor Fragen korrekt beantwortet wurden), bewusst vermieden und auf freie Beweglichkeit innerhalb der Lerninhalte gesetzt. Diese Rahmenbedingungen sollen selbstbestimmtes, selbstgesteuertes und autonomes Lernen unterstützen und insbesondere die intrinsische Lernmotivation erhöhen [8, 9].

Passung zwischen digitalem und Präsenzlernformat

Eine Herausforderung bei der Konzeption des digitalen Lernangebots bestand darin, das Lernmodul inhaltlich auf den Präsenzkurs abzustimmen. Diese Aufgabe wurde dadurch erschwert, dass 8 verschiedene Oberärzte und Oberärztinnen in die Betreuung des Präsenzkurses involviert waren, die jeweils eigene Schwerpunkte in ihrer Lehre verfolgen. Ziel war es einerseits, den Lehrpersonen weiterhin eine flexible Ausgestaltung der Präsenzveranstaltung zu ermöglichen, aber gleichzeitig ein digitales ergänzendes Lehr‑/Lernangebot zu schaffen, das möglichst zu allen angebotenen Präsenzveranstaltungen passt und diese sinnvoll ergänzt. Inhaltlich stand daher die Vermittlung von epileptologischen Grundlagen und der Terminologie im Fokus des digitalen Lernmoduls. Ein weiterer Schwerpunkt war die Sensibilisierung auf eine systematische und sorgfältige Anfallsbeobachtung und -analyse mittels Videos, um die Studierenden auf entsprechende Aktivitäten während der Präsenzveranstaltung vorzubereiten. Die Betreuungspersonen wurden zwar nicht dazu angehalten, bestimmte Inhalte gar nicht mehr oder auf jeden Fall zu vermitteln, jedoch wurden sie vorab über die Struktur und den Inhalt des digitalen Lernmaterials ausführlich informiert und waren teilweise auch bei dessen Entwicklung eingebunden. Sie erhielten zudem Zugang zu den Anfallsvideos, um diese bei Bedarf auch im Präsenzkurs einzusetzen.

Die Evaluation des Lehr‑/Lernangebots ergab trotz des geringen inhaltlichen Abgleichs zwischen digitalem und Präsenzunterricht eine hohe Studierendenzufriedenheit hinsichtlich der Kombination von digitalen Lerninhalten mit dem Präsenzunterricht. Die Studierenden formulierten im persönlichen Gespräch, dass aufgetretene Redundanzen als tolerierbar oder sogar als hilfreich empfunden wurden. Der digitale Kurs wurde insgesamt als sehr gute Vorbereitung auf die Präsenzveranstaltung wahrgenommen. Dennoch sollten die Potenziale einer stärkeren inhaltlichen Vernetzung von digitalem und Präsenzlehrangebot eruiert werden.

Analyse von Anfallsvideos

Wie oben bereits erwähnt, gaben mehr als die Hälfte der Studierenden (56 %) an, dass sie gerne mehr als die 4 bereitgestellten Anfallsvideos analysiert hätten. Gleichzeitig wünschten sich 37 % der Studierenden kein zusätzliches Videomaterial zur Analyse, während 7 % angaben, diesbezüglich unsicher zu sein. Im persönlichen Gespräch äußerten einige Studierende auch den Wunsch nach weiteren, jedoch fakultativ zu bearbeitenden Videos. Zudem wurde angeregt, dass jeder Anfallstyp mit einem Videofall im digitalen Lernangebot vertreten sein sollte. Für das folgende Semester wurden daraufhin 3 weitere interaktive Videofälle in das digitale Lehr‑/Lernangebot mit aufgenommen.

Lernerfolg

Wir analysierten retrospektiv die Auswirkungen des neu entwickelten Blended-Learning-Ansatzes auf die Ergebnisse der Klausur zum Blockpraktikum Neurologie. Die Studierenden, die zusätzlich am digitalen Kursangebot teilgenommen hatten, schnitten bei der Beantwortung der Fragen zur klinischen Epileptologie nicht besser ab als diejenigen, die nur am Präsenzkurs teilgenommen hatten. Von den 5 gestellten Fragen konnten fast alle Studierende 4 oder 5 korrekt beantworten, unabhängig davon, ob sie den digitalen Kurs absolviert hatten oder nicht. Dies könnte auf Lerneffekte aus der Präsenzveranstaltung und der semesterbegleitenden Vorlesung zurückzuführen sein. Zudem waren die epileptologischen Prüfungsfragen der Klausur nicht explizit auf die Blockpraktikumsinhalte abgestimmt.

Eine systematische Analyse des zusätzlichen Lernerfolgs, der potenziell durch den Einsatz eines digitalen Lehr‑/Lernangebots zur Vermittlung klinisch-epileptologischer Kenntnisse und Fertigkeiten erzielt werden kann, steht somit noch aus. Hierzu wäre es notwendig, ein prospektiv gestaltetes Testdesign mit randomisierter Interventions- und Kontrollgruppe zu entwickeln, das den Lernerfolg anhand trennschärferer und auf das Lehr‑/Lernangebot abgestimmter Prüfungsfragen misst. Auch der in das digitale Lehr‑/Lernangebot integrierte Abschlusstest könnte herangezogen werden, um die durch das zusätzliche digitale Lehr‑/Lernangebot erzielbaren Kompetenzzuwächse zu messen.

Einfluss der COVID-Pandemie

Die Entscheidung, das Blockpraktikum Neurologie um ein digitales Vorab-Lernformat zu ergänzen und so in ein ICM umzuwandeln, fand unabhängig von der COVID-Pandemie statt. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass die veränderten Lehr- und Lernbedingungen, die die Pandemie an Hochschulen in den Jahren 2020 und 2021 mit sich gebracht hat, einen Einfluss auf die hohe Akzeptanz der Studierenden bezüglich des digitalen Lernangebots hatten. Die Pandemie war ein Treiber für die rasche Einführung kreativer digitaler und mobiler Lehr‑/Lernformate und hat den Boden für die Etablierung innovativer digitaler Lernformate bereitet. Dennoch haben die Studierenden im Rahmen ihres schriftlichen und mündlichen Feedbacks zum Blended-Learning-Ansatz die Lehr‑/Lernumstände der Pandemie nicht von sich aus thematisiert. Nachfolgende Evaluationen zum fortentwickelten Lehr‑/Lernangebot in späteren Semestern mit ähnlich positiven Ergebnissen stützen die Annahme, dass die hohe Zustimmung der Studierenden zum neuen Format unabhängig von der Pandemie ist.

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